Kirche

Die St.-Nicolai-Kirche gehört zu den schlichten Barockkirchen, die im 18. Jahrhundert im Kurfürstentum Hannover entstanden. Sie dienten als Ersatz für baufällig gewordene mittelalterliche Kirchen.

Außenbau

Die Kirche ist ein rechteckiger Saalbau von beachtlicher Größe 130 x 60 Fuß (37,70 x 17,50 m). Damit entspricht das Verhältnis fast dem barocken Ideal von 2:1. Während die Länge des Kirchenschiffs durch die Lage innerhalb der Häuserfront entlang der Straße praktisch vorgegeben war, gab es für die Breite einigen Spielraum. Durch die Planung als einschiffiger Saal ergaben sich hier allerdings statische Begrenzungen.

Kirche Grundriss
Grundriss der Kirche um 1900 (Repro: Gierz)

Das Kirchenschiff ist streng achsensymmetrisch aufgebaut. Sowohl der Turm wie auch die Sakristei liegen genau in der Verlängerung der Längsachse. Der Turm hat eine quadratische Größe von 32 x 32 Fuß (9,40 x 9,40 m). Die Sakristei ist nur halb so lang, also 16 x 32 Fuß. Diese Längsachse der Kirche liegt etwa in Nordwest-Südost-Richtung, also nicht in der typischen West-Ost-Richtung von Kirchen, da hier die Ausrichtung eines säkularen Vorgängerbaus (Marstall) übernommen wurde.

Auch die Längsseiten des Kirchenschiffes sind achsialsymmetrisch aufgebaut, machen also keinen Unterschied zwischen vorn und hinten. Das Schiff hat neun Achsen, wobei sich in den Achsen 3 und 7 die Türen befinden.

Kirche Seitenriss
Seitenriss der Kirche um 1900 (Repro: Gierz)

Die Umfassungswände des Kirchenschiffs sind aus Backstein aufgeführt und verputzt. Der Sockel ist aus Bruchstein, ebenso die Quaderverzahnung an den Ecken. Fenster und Türöffnungen haben Sandsteingewände. Das profilierte Hauptgesims direkt unterhalb des Daches ist dagegen aus Holz gefertigt.

Das Ziegeldach ist im Südosten mit Krüppelwalm versehen, der, weiter abwärts geschleppt, für die Dachbildung des Sakristeianbaus ausgenutzt wird. Im Nordwesten vermittelt eine kleine Walmfläche den Übergang zum Turm, da der Dachansatz des Turmes niedriger als der Dachfirst des Schiffes ist.

Kirche Tuer Westseite
Eingangstür der Kirche (Foto: Gierz)

Die zwei Portale jeweils an beiden Längsseiten haben geschwungene, durch fein gegliederte Konsolen getragene Verdachungen. Unterhalb der Konsolen sind Blumenstücke eingefügt. Die über den Eingängen befindlichen Kreisfenster sind in die Umrahmungen hineingezogen.

Über den großen mit Halbkeisbogen geschlossenen Fenstern wie auch über den Portalen ist eine Reihe von kleineren Fenstern mit geschwungenem Sturz angeordnet, die der oberen Empore Licht geben. Die Balkenlage der unteren Empore streicht etwa in mittlerer Höhe an den großen Fenstern vorbei, ohne dass dies außen in Erscheinung tritt.

Schlussstein_Zifferblatt
Schlussstein unterhalb des Turmdachs und Zifferblatt der Turnuhr. (Foto: Gierz)

Der zuerst errichtete Kirchturm wurde noch komplett aus Bruchsteinen erbaut. In etwa ein Drittel Höhe ist er von einem schlichten Sandsteinband umzogen. Der beschieferte hölzerne Helm leitet mit Schweifung vom Viereck zur achteckigen großen offenen Laterne mit schlanker Spitze über. In der fein gezeichneten Wetterfahne findet man die Jahreszahl 1734.

Innenraum

Wenn wir den Innenraum der Kirche betreten, so haben wir den Eindruck, uns in einem hellen großen Raum zu befinden. Dies entspricht dem Repräsentationsbedürfnis des Barock nach möglichst großen sich alles unterordnenden Räumen.

Erreicht wird dies dadurch, dass die Priechen (Emporen) aus Holz einen deutlichen Gegensatz zum Putz der Wände bilden. So haben die Priechen durchweg das Aussehen von Einbauten. Sie wirken wie dem Raum untergeordnete mehr ausstattungsartige Gebilde. So wird die untere Prieche einfach an den großen Fenstern vorbeigeführt. Ebenso stehen die wandseitigen Stützen der Priechen direkt vor den Außenwänden, ohne eine architektonische Verbindung mit diesen zu haben.

Kirche Innenraum
Blick in das Kirchenschiff (Foto: Gierz)

Die beiden Priechen sind u-förmig bis auf die Altarseite um den Kirchenraum herumgeführt und werden durch vierzehn freistehende runde Pfeiler gestützt. Damit gliedern diese das weiträumige Innere in drei Schiffe. Die übrigen, teils runden, teils viereckigen Pfeiler, lehnen sich unmittelbar an die Mauer an. Die Priechen sind nicht bis zur Stirnwand durchgezogen, sondern enden bereits ca. 4 m vorher. Damit entsteht ein freier Bereich, in dem der Altar besser zur Geltung kommt und auch durch die freien Fenster mehr Licht erhält.

Nach oben wird der Raum durch eine flachgewölbte Holzdecke abgeschlossen. Diese ist komplett verputzt und im gleichen Farbton wie die Wände hell gestrichen.

Der Fußboden wurde im Chor und in den Gängen mit Sandsteinplatten ausgelegt. Unter den Bankreihen liegen Holzdielen. In den vier Seiteneingängen liegen alte Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert. Sie sind heute nur noch teilweise lesbar.

Der Durchgang vom Kirchenschiff zum Turm ist durch eine massive Holztür verschlossen. Dieser Raum wurde zum Einbau einer kleinen Küchenzeile mit Wasseranschluss und von zwei Toiletten genutzt.

Sakristei

Sakristei_Altar
Kleiner Altar in der oberen Sakristei. (Foto: Gierz)

Hinter dem Altar befindet sich eine zweiflügelige Tür zum Sakristeibereich. Dieser hat zwei Räume, einen im Erdgeschoss und einen im ersten Stock auf Höhe der Kanzel. Ursprünglich wurden diese Räume auch Beichtstuben genannt und hatten jeweils einen eigenen Ofen. Im oberen Raum befindet sich ein Wandaltar, der gleichzeitig die Treppe nach unten abtrennt. Die farbliche Fassung entspricht der Gestaltung des Kirchengestühls. Das zentrale Altarbild zeigt eine typische Kreuzigungsszene mit Maria und Johannes (signiert mit H. Müller Jung 1962). Ein Durchgang aus diesem Raum führt direkt zur Kanzel.

Christusfigur
Fragment eines Kruzifixes. (Foto: Gierz)

An der Wand im Erdgeschoss der Sakristei hängt eine Holzplastik des Gekreuzigten. Sie wurde von einem unbekannten Künstler aus Lindenholz wahrscheinlich im 18. Jahrhundert geschnitzt.

Die Sakristei ist als einziger Teil der Kirche unterkellert. Der Keller dient zur Aufnahme der Heizung. Zwei symmetrisch angeordnete Schornsteine sorgen für die Abluft. Allerdings ist davon nur noch der östliche in Betrieb. Seit 1993 ist hier eine gasbetriebene Niederdruck-Warmwasserheizung eingebaut.

Grabkammern

Sowohl die jetzige Kirche wie auch ihr Vorgängerbau an gleicher Stelle wurden als Grabstätte benutzt. Dieser Brauch endete 1780 nach einem Erlass von Kaiser Joseph II. Unterlagen über die Belegungen sind nur sehr unvollständig erhalten. Auskunft geben zum Teil die erhaltenen Rechnungsbücher, da solche Gräber extra bezahlt werden mussten.

Bei einer Untersuchung im Jahre 1961 konnten drei getrennte Grabkammern nachgewiesen werden. Sie wurden geöffnet und untersucht. Särge und Skelette waren teilweise noch erhalten. Die Grabplatten auf den Grüften waren 1869 beim Einbau der Heizung entfernt und verkauft worden.

Grabplatte Herzog Franz

Direkt vor dem Altar liegt eine Grabplatte. Sie ist heute durch einen Teppich verdeckt. (Heute eine Kopie, das Original steht im Schlossmuseum.)

Grabplatte für die Eingeweide von Herzog Franz 1549
Grabplatte für die Eingeweide von Herzog Franz 1549 (Foto: Gierz)

Die Platte zeigt in der Mitte ein Wappen, umgeben von dem Text: »ILLUS PRINC AC DNI DNI FRANCISCI DUC BRAU. ET LUNEBU. VISCERA HIC SEPULTA IACENT 15 K 49 OBIIT AETATIS SUAE 41 AN.«

Übersetzt: »Die Eingeweide (das Herz) des erlauchten Fürsten und Herren Franz, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, liegen hier begraben 15(K)49. Er starb seines Alters 41 Jahre«.

Demnach wurden vor dem Altar die Eingeweide von Herzog Franz bestattet, während der Leichnam selbst in der Schlosskapelle liegt. Das K in der Jahreszahl wird als ein Steinmetzzeichen gedeutet. Es könnte dem Hofbaumeister Michael Clare gehören, da dieser Name teilweise auch mit K geschrieben wurde. Die Grabplatte wurde beim Neubau der Kirche aus dem Vorgängerbau übernommen.

Bei der Untersuchung im Jahre 1961 blieb die Suche nach dem Gefäß mit dem Herzen von Herzog Franz erfolglos.

Grabplatte Superintendent Vitus

Besonders zu erwähnen bleibt noch eine weitere Grabsteinplatte, die aus der Georgskapelle auf dem alten Friedhof stammt. Sie wurde im Jahre 1972 an der Westwand des Kirchturms angebracht.

Grabplatte_Vitus
Grabplatte von Sup. Vitus und Ehefrau. (Foto: Gierz)

Sie erinnert an den Superintendenten Martinus Vitus und seine (erste) Ehefrau:

»REVERENDVS ET DOCTVS VIR D. MATINVS VITVS PASTOR ET SUPERINTENDENS GIFHORNENSIS ET CAMPENSIS PER ANNOS 15 SIBI ET CONIVGI LONGE DVLCISSIMAE HISCHIAE EBELINGIAE P. M. HOC MONVMENTVM PONI CVRAVIT AO 1619

M. V. VIXIT ANNOS 51 OBYT AO 1626 17 IVLY

H. E. VIXIT ANNOS 28 OBIIT AO 1618 26 IVLY

SANGUIS IHESV CHRISTI MVNDAT NOS AB OMNI PECCATO I IOH I«

Übersetzt:

»Referend und Doktor Herr D. Martinus Vitus Pastor und Superintendent zu Gifhorn und Campen. 15 Jahre lang verbunden mit der süßlichen Hiskia Ebeling hat nach dem Tod hier das Grabmal errichtet im Jahre 1619.

Martin Vitus hat gelebt 51 Jahre, gestorben am 17. Juli 1626.

Hiskia Ebeling hat gelebt 28 Jahre, gestorben am 26. Juli 1618.

Das Blut Jesu Christi reinige uns von aller Schuld. (1. Joh. 1,7)«

Eine Bestattung der beiden in der Kapelle ist wahrscheinlich, aber nirgends dokumentiert.

Literatur

Max Gelin: »St. Nicolai Gemeinde« in: »Gemeindebuch des Kirchenkreises Gifhorn«, Jedermann-Verlag Ludwig Schmidt GmbH, Osnabrück 1960

Max Gelin: »Die ehemaligen Erbbegräbnisse in der St. Nicolaikirche«, Manuskript, Gifhorn 1961

Uwe Gierz: »St. Nicolai in Gifhorn«, Calluna Südheide Verlag, Dedelstorf-Oerrel 2024

Oskar Kiecker/Hans Lütgens: »Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover, III. Regierungsbezirk Lüneburg, 4. Kreis Gifhorn«, Selbstverlag der Provinzialverwaltung, Hannover 1931, Nachdruck H. Th. Wenner Osnabrück 1980

Johann Georg Friedrich Meyer: »Beschreibung der evangelisch-lutherischen Kirche zu Gifhorn, sowie ihrer Kunstschätze, Alterthümer und historischen Denkwürdigkeiten«, handschriftliches Manuskript, Gifhorn 1861

Ulrich Roshop: »Die St.-Nicolai-Kirche in Gifhorn«, Veröffentlichungen Heft 3 des Museums- und Heimatverein Gifhorn e.V., Gifhorn 1980