Orgel

Mit der Reformation erhält der Gemeindegesang eine wichtige Bedeutung im Gottesdienst. Martin Luther selbst spricht davon, dass im Gottesdienst nichts anderes geschehen solle, »denn dass unser lieber Herr selbst mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederum mit ihm reden durch Gebet und Lobgesang«.

Zur Unterstützung setzt sich in den Kirchen immer stärker die Orgel als das Kircheninstrument durch.

Aufgabe des Organisten ist es, die Choräle zu »präludieren«, also mit einem Vorspiel einzuführen, aber die Gemeinde singt »choraliter« einstimmig. Angeleitet wird der Gemeindegesang von einem Vorsängerchor mit Kantor. In Gifhorn übernimmt diese Aufgabe der Rektor, also der Lehrer der Lateinschule, mit seinen Schülern.

Erst im 19. Jahrhundert kommt es flächendeckend zur Orgelbegleitung der Gemeindelieder, wie wir es bis heute gewohnt sind.

Orgel in der zweiten Kirche (bis 1737)

Während dieser Zeit gibt es sogar zwei Orgeln in Gifhorn. Eine steht in der Nicolai-Kirche, eine weitere in der Schlosskapelle. Die Bezahlung der Organisten übernehmen anteilig die Kirchengemeinde und die Garnison im Schloss.

1550: In Gifhorn gibt es einen Organisten Müller.

1594: Die Orgel in der Kirche muss renoviert werden.

1643: Der Orgelbauer Jonas Weigel aus Braunschweig repariert das Instrument und führt auch in den folgenden Jahren noch kleinere Arbeiten durch.

1658: Ein unbekannter Orgelbauer aus Fallersleben baut neue Stimmen und eine Windlade ein.

1680: Für 20 Jahre betreut der Braunschweiger Orgelmacher Otto Eilhard Botienter die Orgel. Er führt in den Jahren 1687/88 eine große Reparatur durch, die fast einem Neubau der Orgel gleichkommt. Für die Arbeiten werden viele Säcke Kohlen verbraucht, da etliche Pfeifen neu gegossen werden müssen. Insgesamt summieren sich die Kosten auf 136 Taler und ein Jahr darauf auf noch einmal 138 Taler. Für weitere Arbeiten quittiert er am 25. Juni 1700 36 Taler. Im gleichen Jahr werden für Schmiedearbeiten über 52 Taler ausgegeben.

1725: Letzter Organist an dieser Orgel ist Johann Henning Lübbing. Von ihm hat sich eine Beschreibung der alten Orgel erhalten. Danach hat diese 1144 Pfeifen, aufgeteilt in 21 Register auf 2 Manuale und Pedal.

1737: Beim Abriss des alten Kirchenschiffs wird zwangsläufig auch die Orgel abgebaut und im Rathaus eingelagert. Allerdings macht dieses Instrument einen recht desolaten Eindruck. Organist Lübbing schlägt deswegen einen Umbau der Orgel nach eigenen Plänen vor.

Christian-Vater-Orgel in der dritten Kirche (ab 1748)

Planung der neuen Orgel (1742-1744)

1742: Die Kirchengemeinde nimmt Kontakt mit dem hannoverschen Hoforgelbaumeister Christian Vater (1679-1756) auf. Vater kommt im Oktober nach Gifhorn und inspiziert die alte Orgel. Er stellt fest, dass die alte Orgel nicht zur neuen Kirche passen würde, und schlägt vor, für 570 Taler eine neue Orgel anzufertigen. Dabei will er sowohl das Metall von der Kirchenorgel wie von der Schlossorgel wieder verwenden.

1744: Durch die schlechte Finanzlage verzögert sich der Vertragsabschluss mit Christian Vater. Die Gifhorner Bürgerschaft muss dabei trotz vorheriger Belastung durch den Neubau des Kirchengebäudes auch hier erheblich zu den Baukosten beigetragen. Mit dem Kammerpräsidenten Reichsfreiherr Heinrich Grote (100 Taler) und Freiherr Georg Wilhelm von Marenholtz zu Schwülper (50 Taler) können allerdings auch adelige Stifter gewonnen werden.

Neubau der Orgel (1744-1752)

1744: Nach Abschluss des Kaufvertrags macht sich Christian Vater an die Arbeit. Die Metallpfeifen der alten Kirchenorgel und auch der Schlossorgel werden eingeschmolzen und für die neu anzufertigenden Pfeifen benutzt.

1746: Die Arbeiten in der Werkstatt in Hannover sind soweit abgeschlossen. Die Teile werden auf drei Leiterwagen nach Gifhorn gebracht. Die restlichen Arbeiten finden dann vor Ort in Gifhorn statt. Schwierigkeiten bereitet die unebene Lage der Orgelempore, aber auch Material- und Personalmangel Vaters.

1748: Am 28. August erstellt Christian Vater nach Abschluss der Hauptarbeiten die Abrechnung. Es bleibt bei den Kosten von 570 Talern (+ 15 Taler Trinkgeld für die Gesellen). Vergeblich hat Vater versucht, eine Erhöhung um 60 Taler zu erreichen.

Zunächst steht die Orgel in einer holzsichtigen Rohbaufassung. Davon hat sich die direkt auf das Holz gemalte Registerbeschriftung erhalten.

1752: Das Gehäuse wird durch den Maler und Hofvergolder Johann August Bartels (1723-1805) vergoldet und der Rest weiß gestrichen. Damit erhält der Orgelprospekt die gleiche Farbgestaltung wie der Altar. Die Kosten übernimmt Kammerpräsident Reichsfreiherr Heinrich Grote.

Entwicklung bis 1850

1756: Nach dem Tode von Christian Vater wird seine Werkstatt aufgelöst.

1760: Der Orgelbauer Johann Georg Stein (1712-1785) in Lüneburg erstellt ein umfangreiches Gutachten. Dabei moniert er auch das minderwertige Material, das Vater für die Pfeifen verwendet habe. Für die Durchführung von Reparaturen verlangt er 68 Taler. Nach Beendigung seiner Arbeiten lassen die Kirchenältesten extra einen Organisten Breyer aus Braunschweig kommen, der die Orgel zu »examinieren« hat.

1779 und 1805: Der Hof-Orgelbauer Johann Ferdinand Hüsemann (1743-1812) aus Braunschweig führt kleinere Reparaturen durch.

1815 und 1822: Es sind weitere Reparaturen durch einen Orgelbauer Noack aus Braunschweig dokumentiert.

Thies
Kantor Friedrich Thies (Foto: Kirchenarchiv)

1842: Organist Friedrich Thies beklagt, dass schon über 17 Jahre nichts an der Orgel gemacht worden wäre. Beauftragt wird der Hoforgelbauer Ernst Wilhelm Meyer aus Hannover (1779–1868). Nach dem Angebot hat dieser dabei ein Register ausgetauscht (Cornett 2‘ in Trompete 4‘). Außerdem müssen zwei Bälge erneuert werden. Insgesamt kostet die Reparatur 149 Taler.

1848: Eine kleinere Reparatur an der Orgel erledigt ein Orgelbauer Charles de Berger.

Umbau 1873

Der Zeitgeschmack hat sich deutlich geändert. Statt barockem Klang muss es jetzt das breite Spektrum romantischer Töne sein. Der Hof- und Schlossorganist Heinrich Enckhausen aus Hannover (1799-1885) fertigt ein Gutachten an.

Vieth
Orgelbauer Heinrich Vieth und Ehefrau (Foto: Kirchenarchiv)

Daraufhin wird der Celler Orgelbauer Heinrich Vieth eingeschaltet, der eine Stellungnahme zu dem Gutachten abgibt, und den Auftrag bekommt. Vieth nimmt tiefgreifende Änderungen vor. Im Zuge einer »Klangverbesserung« werden Register ausgetauscht: Viola da Gamba 8‘ ersetzt die Vox humana 8‘, auf einer angehängten Schleife entsteht ein Salicional 8‘, und im Pedal ersetzt man die Rauschpfeife durch ein Violoncello. Im Mai 1873 kann Organist Thies seinen Abschlussbericht zu dem Umbau verfassen.

Vieth übernimmt dann auch in den Jahren danach bis 1889 die Wartung der Orgel.

Planung einer neuen Orgel 1904-1919

Die Tonlage der Orgel um ¼ Ton über Kammerton (= Normalstimmung) ist seit langem Anlass, eine Veränderung anzustreben. Nach der Reparatur 1873 ist dieses Thema allerdings erst einmal nicht mehr akut gewesen.

Hammer_Emil
Orgelbauer Emil Hammer (1878-1958) (Foto: Kirchenarchiv)

1904: Der damalige Organist Ernst Wilhelm Köhler erkennt, dass erneut Reparaturen notwendig seien. Er wendet sich an die Firma P. Furtwängler & Hammer. Diese schlägt vor, eine ganz neue Orgel für Gifhorn zu bauen, die mit 3 Manualen und 60 klingenden Stimmen auch deutlich größer ausfallen solle. Der Kostenanschlag beziffert sich auf 10.560 Mark. Das Zögern des Kirchenvorstandes bewirkt die Rückstellung des Vorhabens.

1916: Das Angebot wird durch den Konsistorialorgelrevisor Pastor Christian Drömann aus Elze wieder vorgetragen. Kriegsbedingt kann das 12 Jahre alte Angebot der Firma P. Furtwängler & Hammer nicht aufrecht gehalten werden. Nun werden 27.930 Mark gefordert.

1918: Der Auftrag ist beschlossene Sache, jedoch führt eine erneute Kostensteigerung im Jahr darauf zu einer Stornierung dieses Vorhabens.

Und so wird der Bestand der Christian-Vater-Orgel gerettet.

Orgel unter Denkmalschutz 1932

1932: Das Landeskirchenamt teilt mit, dass die Orgel als ein Werk von Denkmalswert anzusehen sei. Dadurch wird auch die Beschlagnahme von Orgelpfeifen während der Kriegszeit verhindert. Das Thema Neubau ist damit endgültig vom Tisch.

1933: Die Orgel erhält ein elektrisches Gebläse.

1935: Die Firma Furtwängler & Hammer führt eine Restaurierung im Sinne der Orgelbewegung durch. Auf den Stock der entfernten Vox humana 8' wird ein Dulzian-Fagott 16' gestellt.

Orgel auf Kammerton? (1947-1958)

Gebhardt
Organist Dr. Friedrich Gebhardt an der Orgel 1953 (Foto: Kirchenarchiv)

1947: Der Organist Dr. Friedrich Gebhardt eröffnet eine neue Runde zum Thema Tieferstimmung der Orgel auf Kammerton. Ein Antrag des Kirchenvorstandes in dieser Richtung wird vom Landeskirchenamt positiv beschieden. Beauftragt wird wieder die Firma Furtwängler & Hammer. Doch kommt es zu keinem befriedigenden Ergebnis.

1951: Der Vertrag wirde gekündigt. Weitere Verträge mit den Orgelbaufirmen Hillebrand und Weißenborn führen auch zu keinem positiven Ergebnis.

1958: Das Landeskirchenamt schlägt vor, ein kleines Chorpositiv zu beschaffen und dafür an der Stimmung der großen Orgel nichts zu ändern.

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Orgelpositiv der Firma Klaus Becker. (Foto: Gierz)

1962: Die Kirchengemeinde kauft ein Orgelpositiv von der Firma Klaus Becker aus Kupfermühle.

Restaurierung 1961

Im Rahmen der Kirchenrenovierung wirde auf Initiative des Superintendenten Gottfried Küllig und des damaligen Kantors Gottfried Piper auch eine größere Reparatur der Orgel durch die niederländische Firma Flentrop in Zandaam ausgeführt. Diese Firma hat bereits die große Schnitger-Orgel in der Grote Kerk in Zwolle restauriert und dabei wichtige Erfahrungen sammeln können.

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Orgelbauer Dirk Andries Flentrop (1910-2003) (Foto: Kirchenarchiv)

Im April wird die Orgel »gut verpackt« in die Niederlande geschickt. Bereits fünf Monate später ist sie repariert wieder in Gifhorn. Trotz des engen Zeitplans ksnn dabei die alte Disposition zu großen Teilen wieder hergestellt werden.

Um 1900 hat man die Mittelteile der beiden Priechen vergrößert. Das beeinträchtigt den Klang der Orgel. Deswegen schlägt der Landeskonservator Wolf vor, das Instrument von der oberen auf die untere Prieche zu verlagern. Diese Maßnahme wird durch Mitarbeiter einer örtlichen Tischlerei durchgeführt. Erst viele Jahre später wird bekannt, dass dabei ein schwerer Unfall beinahe Opfer gefordert hätte. Das Orgelgehäuse ist beim Herabsenken seitlich abgestürzt, weil Halteseile nicht halten. Erhebliche Beschädigungen im und am Gehäuse werden repariert oder nur retuschiert.

Gleichzeitig verkleinert man die obere Prieche zu einem schmalen Umgang. Insgesamt verbessert sich der Raumklang des Instrumentes.

Die Restaurierung umfasst auch eine neue farbliche Gestaltung des Orgelprospektes. Der Kunstmaler Rudolf Droste passt die Farben dem Altar an. So wird auch der Prospekt in der Farbskala reichhaltiger ausgestattet.

1962: Die Innenflügel der Klappen des Brustwerks werden mit Bildern von musizierenden Engeln gemalt.

Restaurierung 1998-2000

Obwohl die Maßnahmen nach dem damaligen Kenntnisstand insgesamt sehr gut ausgeführt worden sind, gibt besonders die statisch ungünstige Sicherung des Orgelgehäuses einen Anstoß für die nächste Restaurierung.

Hinzu kommen, dass dringend nötige Reparaturarbeiten an der Gebäudesubstanz und den Fundamenten, die in den Jahren seit 1961 durchgeführt werden, die Orgel erheblich in Mitleidenschaft gezogen haben. Gutachten von 1985 und 1987 weisen darauf hin, dass eine grundlegende Restaurierung der Orgel zur Erhaltung der Substanz des Gehäuses, des Pfeifenwerkes und der Windanlage unumgänglich sei.

1996: Nach langer Vorplanung werden die Arbeiten für die jüngste Restaurierung des Orgelwerkes an Firma Gebr. Hillebrand in Altwarmbüchen bei Hannover und für die Farbfassung des Orgelgehäuses an Firma Ochsenfarth in Paderborn vergeben.

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Das leere Orgelgehäuse während der Malerarbeiten. (Foto: Fa. Ochsenfarth)

Dabei wird die Orgel komplett abgebaut und zur Überarbeitung in die Werkstatt nach Altwarmbüchen transportiert. 

Orgel von oben
Blick auf die Orgel (Foto: Gierz)

Beim Wiederaufbau wird das Gehäuse mit einem Grundrahmen aus Eichenholz versehen. Dieser ist schwimmend auf einem auf dem Priechenfussboden verankerten Rahmen gelagert. Im Februar 2000 können die Arbeiten abgeschlossen und die Orgel ihrer Bestimmung in neuer Schönheit und Klangfülle übergeben werden.

Seit der Restaurierung hat die Orgel bei Gottesdiensten und zahlreichen Konzerten mit neuer Klangfülle die Zuhörer erfreut. Viele waren erstaunt, welche Kraft und Dynamik in diesem Instrument durch sachkundige Organisten lebendig werden kann.

Literatur

Uwe Gierz: »St. Nicolai in Gifhorn«, Calluna Südheide Verlag, Dedelstorf-Oerrel 2024

David Menge u.a. (Hrsg.): »Die Christian-Vater-Orgel in der Ev.-Luth. St. Nicolai-Kirche zu Gifhorn«, Voigt Druck, Gifhorn 2000

Gottfried Piper: »Die Orgeln des Kirchenkreises Gifhorn«, Gifhorn 1967

Reinhard Skupnik: »Der hannoversche Orgelbauer Christian Vater 1679-1756«, Verlag Bärenreiter, Kassel 1976